Tenugui
Foto: Toshiko-san Ⓒ Mancia|Bodmer
Eine der prägnantesten Erinnerungen aus meiner frühen Kindheit in Japan ist die an Toshiko-san, unserere damalige Köchin und Haushälterin mit ihrem Tenugui-Tuch, das sie stets um ihren Hals trug. Ich sehe dieses Bild vor meinen Augen, als wäre es gestern gewesen: Es ist hochsommerlich heiss und schwül. Sie wischt sich immer und immer wieder die Schweissperlen von ihrem Gesicht ab …Wenn sie sehr beschäftigt war – denn sie musste manchmal bis zu 20 oder mehr Gäste bekochen – dann band sie sich dieses Tuch, damit ihre Haare nicht runterfielen, um den Kopf. In der Küche lagen überall Tenuguis herum und sie nutzte diese als Lappen, Geschirr- oder Handtuch und vieles mehr. Und für mich war sie einfach die allerbeste Köchin. Wie im Märchen «Tischlein, deck dich!» zauberte sie im Handumdrehen ein köstliches Abendessen herbei. Das Tengui-Tuch war schlichtweg Toshiko-san’s Markenzeichen und die Küche war ihr Reich. Einige Jahre später fand ich heraus, dass Tenuguis auch in anderen Haushalten in gleicher Weise benutzt wurden.
Tenugui sind ja eigentlich nichts anderes als rechteckige Tücher, die nicht einmal einen Saum haben und durch ihre Einfachheit derartig bestechende Accessoires, dass sie für mich ausgesprochen liebenswert sind.
Nebenbei erwähnt, soll es sie bereits in der Nara-Zeit in einer ähnlichen Form gegeben haben. Richtig populär wurden die Tücher aber erst im 17. Jhd. mit der Herstellung von Baumwollkimonos. Man begann die anfallenden Stoffreste für den alltäglichen Gebrauch zu nutzen, was bis in die Gegenwart anhält. Heutzutage finden sie mannigfaltige Verwendung als Kopfschutz gegen die Sonne, Schutzhüllen vor Staub, Schlafmasken, Augenbinden, Stirnbänder und vieles mehr. Als Kind wurde mir sogar das verletzte Knie mit einem zerschnittenen Tenugui verbunden. Tenuguis sind aus 100% Baumwolle, locker gewoben und trocknen nach dem Waschen sehr schnell, so dass sich Keime nicht so leicht darin vermehren können. Nach den ersten paar Mal Waschen fransen die Ränder zwar aus, doch wenn die Fäden konsequent abgeschnitten werden, bleiben sie irgendwann mal in Form.
Als ich in die Schweiz umzog, nahm ich ein paar Tenuguis mit. Ich merkte dann eines Tages plötzlich, dass ich sie mit der Zeit durch westliche Handtücher ersetzt und irgendwo im hintersten Teil eines Schrankes versorgt hatte. Das muss wohl am hiesigen Klima liegen. Denn wenn ich manchmal an die heissen, schwülen Sommertage oder das hervorragende Essen in Japan denke, habe ich wieder das Bild von «Toshiko-san mit Tenugui» vor mir. Eine dermassen hohe Luftfeuchtigkeit kennt die Schweiz zwar nicht, dennoch könnte ein solch praktisches Tuch durchaus auch hier für andere Zwecke seine Verwendung finden.