OJIGI – DIE VERNEIGUNG
Als Kind wurde ich einst in der Schweiz von einem «Gschpänli» gefragt: «Warum verbeugt Ihr Japaner Euch denn beim Grüssen?» Da ich keine Antwort darauf wusste, fragte ich zurück: «Warum schüttelt Ihr Euch denn die Hände?»
Wenn man beide Antworten kennt, weiss man, dass die beiden Begrüssungsarten einen ganz anderen Hintergrund haben. Bei der ersten geht es um eine Respektbezeugung und bei der zweiten um die Freundschafts- oder auch Friedensschliessung.
Das Sichverbeugen in Japan– Ojigi- ist für mich wie eine Gewohnheit. Man tut es einfach bei jeder Gelegenheit ohne vorher gross zu überlegen. Denn man verneigt sich ja nicht nur bei der Begrüssung sondern auch beim Bedanken, Entschuldigen, Verabschieden, beim Vorbeigehen am Arbeitsplatz und sogar während eines geschäftlichen Telefongespräches. Es ist einfach omnipräsent und hat man diese Gewohnheit einmal verinnerlicht, dann wird man sie fast nicht mehr los. Ich kenne viele Schweizer und Schweizerinnen, die sich längere Zeit in Japan aufgehalten haben und sich nach ihrer Rückkehr noch Tage lang hierzulande verneigen anstatt Hände zu schütteln.
Es gibt verschiedene Grade der Verneigung. Üblicherweise verbeugt man sich bis zu einem Winkel von 25 Grad, so z. B. bei einer kurzen oder einfachen Begrüssung. Gegenüber geschäftlichen Kunden hingegen verneigt man sich bis etwa 45 Grad und bis 90 Grad, wenn man der höchstrangigen Geschäftsperson im Büro begegnet.
Und es geht sogar noch tiefer runter – und zwar, wenn man sich hinkniet (Dogeza). Dies ist meiner Meinung nach eine Geste höchster Unterwürfigkeit und grenzt an eine Erniedrigung der jeweiligen Person. Dennoch kommt dies in Japan, wenn eine Person einen schwerwiegenden Fehler begangen hat immer wieder vor. Manchmal, aber eher selten, gehen auch die im Kimono gekleideten Damen des Hauses beim Empfangen der Gäste in einem sehr luxuriösen japanischen Hotel (Ryokan) in die Knie und hin und wieder auch mal in der Teezeremonie. Aber dies ist wieder eine ganz andere Geschichte.
Grundsätzlich gilt: Je tiefer man sich verneigt, desto mehr Respekt und Dank zollt man dem Gegenüber. Manch ein Gegenüber sagt sich aber, er habe das gar nicht verdient so respektvoll behandelt zu werden und verneigt sich dann noch tiefer. Der andere wiederum erwidert dies mit einer noch tieferen Verbeugung und so erblickt man immer wieder mal mitten auf der Strasse, wie sich zwei Personen endlos voreinander verneigen. Nun fragen Sie sich bestimmt, ob Sie als Ausländer(-in) in Japan diese ganze Prozedur mitmachen müssen? Nein, Sie müssen nicht, aber Sie dürfen. Wenn Sie mit jemanden persönlich zu tun haben, achten sie einfach darauf, wie tief sich Ihr Gegenüber verneigt und tun Sie dasselbe. Und einmal verbeugen reicht! Aber Achtung! Gehen Sie nicht zu nahe ran, sonst schlagen Sie sich womöglich die Köpfe ein!
Meistens geht es aber viel unkomplizierter zu und her – denn der Japaner wird Ihnen meistens von sich aus die Hand ausstrecken um sie zu grüssen. Es wird nicht erwartet, dass Sie sich verneigen müssen. Die Japaner wissen, dass man sich im Westen die Hände schüttelt. So können Sie beruhigt Ihnen auch die Hand geben.
Schlussendlich ist es nicht wichtig wie, sondern, dass man sich begrüsst.