Japan Blog

KATAGAMI (Kata = Muster, Kami = Papier)

Alte japanische Papierschablonen für den Textildruck
Eine Zeitreise ins Japan der Edo-Zeit (1603–1868) und der Meiji-Zeit (1868–1912) bis in die heutige Zeit.

von Silvia Neeracher, Zürich im Mai 2021
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Was ist heute erforscht und bekannt über die Textilfärbekunst aus der Provinz Ise.
Der Ursprung der Katagami-Produktion für den Textildruck liegt in der ehemaligen Provinz Ise, der heutigen Präfektur Mie. Ise ist bekannt für sein Shinto Heiligtum. Um die Entstehung der Katagami-Produktion ranken sich Legenden. In einem Dokument von 1768 im Bezirk Shiroko, wurde der Begriff Katagami erstmals erwähnt. Es gilt somit als gesichert, dass in der Edo Zeit die Tradition der Ise Katagami Herstellung begann.

Der Mangel an schriftlichen Quellen ist jedoch gross, es fehlen Angaben zur Menge der verkauften Schablonen, zu Preisen, zu den Herstellungsdaten, den Namen der Produzenten, etc. Untersuchungen der Druckschablonen mittels Infrarot lassen Signaturen und Siegel erkennen – aber alle weiteren Spuren sind praktisch erloschen.

Die Meisterschaft

Das höchst anspruchsvolle Fachwissen über die Herstellung der Papierschablonen wurde vom Meister auf seinen Gesellen übertragen, bis dieser selber zur Meisterschaft gelangte. Die Werkzeuge zum Schneiden, Lochen und Stanzen wurden für den Eigenbedarf in der Werkstatt selbst hergestellt. Das Gestalten und Schneiden der Muster erforderte grosses handwerkliches Geschick, Vorstellungsvermögen als auch konstruktive, spielerische Fantasie. Die Handwerker, eigentlich waren es im heutigen Sinne Künstler, sind unbekannt – die Katagami galten nicht als Kunstwerk, sondern als Werkzug für den Textildruck. Das heisst, die Katagami wurden an eine Färberei weiter verkauft. Es ist überliefert, dass Stunden, ja Tage an einer Schablone gearbeitet wurde, – eine Arbeit von höchster Konzentration. Ein Schablonenmuster musste so entworfen werden, dass die gegenüberliegende Seite für die repetitive Fortsetzung des Musters beim Textildruck sorgte – der Rapport musste gewährleistet sein.

Papier als Werkstoff für Schablonen

Ein Beispiel wie die Seidenfäden ein filigranes Muster zusammenhalten
Das Maulbeerbaum Papier – genannt Washi – wurde für die Papierherstellung verwendet. Das Papier musste über Jahre gelagert werden, um vollständig zu trocknen. Für die Herstellung der Schablonen wurden mehrere Papierschichten mit einander vernäht und in den gegorenen Saft der Kakifrucht gelegt. Das Tannin im Saft festigte das Papier und machte es zugleich wasserabstossend. Daher die braune Farbe der Schablonen.
Nachdem die Muster fertig gestanzt oder ausgeschnitten waren, wurden die Blätter sorgfältig in die einzelnen Schichten zerlegt und von Frauenhand ein feines Netz von Seidenfäden eingenäht, um den filigranen Mustern Halt zu geben. Anschliessend wurden die Papierschichten wieder verklebt und vorbereitet für den Stoffdruck. Als Richtmass für die Schablonen galten etwa 40 x 24 cm. Diese konnten bis 50 mal verwendet werden. Für das Nähen eines Kimonos wird Seidenstoff von etwa 38 cm Breite und 12 m Länge benötigt.

Beispiel eines Komon Katagami
Drei Mustertypen kamen zur Anwendung: Komon: sehr feine Muster, sie galten als vornehm Chugata: mittelgrosse Muster, sie fanden häufig Verwendung für Frauenkimonos Daimo: grosse Muster, z.B. für Flaggen, Wappen, Vorhänge

Das Färbeverfahren Katazome (Kata = Muster, Zome = Färben)
Beim Färbevorgang wurde nicht Farbe, sondern eine Reismehlpaste auf dieSchablone aufgetragen. Dann wurde die  Schablone wieder entfernt, die Paste blieb. Anschliessend beim Färben nahmen nur die von der Paste nicht abgedeckten Stellen die Farbe an. Dieser Vorgang konnte mehrmals wiederholt werden, je nach Muster und Farbenwahl.

Der Handel
In der Edo Zeit herrschte eine strenge Klassenordnung, Kleidung und deren Farben und Muster waren ein Statussymbol. Je feiner die Muster … desto vornehmer die Träger. Die Samurai bildeten die Oberschicht, gefolgt von den Daimon, den Bauern, den Händlern und Kaufleuten. Der damals regierende Tokugawa Clan überwachte den Handel mit Katagami und verlangte Steuern. Es bildeten sich Gilden, diese erlangten das Verkaufsmonopol, bildeten Handelsterritorien, legten die Preise fest und kamen dank dem florierenden Handel und der Kontrolle über die Katagami Hersteller und den Färbezünften zu grossem Reichtum. Die Edo-Zeit galt als die Zeit des allgemeinen Wohlstands, der Bedarf an edlen Stoffen war gross.

Faszination Katagami
Das ist ein „Grosses Thema“. Diese beruht auf der Freiheit der Kombination, auf dem Reichtum der Muster und deren Ästhetik. Die Muster sind von einzigartiger Schönheit und Leichtigkeit. Ihr künstlerischer Ausdruck und ihre Bildsprache zeigen japanische Formen und Motive, die bis hin zur Abstraktion gestaltet und  vergeistigt wurden. Die Naturbetrachtung war eine Quelle der Inspiration. Die Welt der Pflanzen und Blumen, die Tierwelt, das Wetter, die Jahreszeiten, die Feierlichkeiten fanden ihre Wertschätzung und Verehrung in der Gestaltung dieser Motive. Wichtige Symbole wie die Pflaumen- und Kirschblüten, der Bambus, der Kranich, die Schildkröte, die Ahorn- und Ginkgoblätter – und vor allem auch die edelste aller Blumen – die Chrysantheme, wurden variantenreich und mit Raffinesse dargestellt.

Katagami als Objekt der Begierde
Japanische Zeitung die auf der Rückseite eines Katagami geklebt war für den Transport
1853 erzwang der amerikanische Kommandeur Matthew Perry die Öffnung Japans nach mehr als zweihundert Jahren der fast völligen Abschottung und Isolation des Landes. Die Schwarzen Schiffe am Horizont wurden ein Begriff der japanischen Volksseele und stehen für ein traumatisches Erlebnis von grosser Tragweite.
Westliche Händler, Forscher, Diplomaten und auch Abenteurer, reisten nach Japan. Es wurde ein frei zugänglicher Markt erschlossen – für Japan eine beispiellose Zäsur.
Die soziale Hierarchie, die Regentschaft der Tokugawa, die Privilegien der Samurai waren beendet. Das Land sah sich zudem selber als rückständig an – angesichts der überlegenen Technik und Industrie des Westens. Die Japaner übernahmen sehr schnell auch die westliche Mode. Die Papierschablonen mit ihrem Reichtum an Mustern wurden innert kurzer Zeit nicht mehr gebraucht. Sie wurden als wertlos betrachtet – der Import von Textildruckmaschinen, vor allem aus England, eroberte die japanische Textilindustrie in Kürze.
Das Alte war überflüssig geworden, die Katagami wurden, nebst vielen anderen Kunstgegenständen, für den Verkauf frei gegeben. Die westlichen Käufer sahen die Katagami nicht als Handwerkszeug, sondern – losgelöst von ihrer Funktion als Druckschablone – als fremdes, einzigartiges und geniales Kunstobjekt.
Die Katagami, in Japan nur noch als alter Plunder taxiert, wurden zum Objekt der Begierde für die westliche Welt. Riesige Mengen wurden nach Europa verschifft und gelangten unter anderem in Paris auf den Kunstmarkt.
Eine bedeutende, ja forcierende Rolle im Handel mit japanischen Kunstobjekten spielte ein Monsieur Samuel Bing, er reiste selbst mehrmals zum Einkaufen nach Japan und gab auch eine Zeitschrift LE JAPON ARTISTIQUE heraus.

Katagami und die westliche Welt
Anlässlich der Weltausstellung 1867 in Paris und 1873 in Wien, kam ein breites Publikum erstmals mit der eigenständigen Kunst Japans – vor allem mit den Farbholzdrucken und der bis anhin fremden und virtuosen Technik der Papierdruckschablonen – in Kontakt. Die repetitiven Strukturen der Druckrapporte, die geometrischen Ornamente oder Naturerscheinungen in vollendeter Abstraktion, übten eine grosse Begeisterung aus. Und bewirkten einen bedeutenden Einfluss auf die Kunstschaffenden der Jahrhundertwende. Ja, man kann getrost sagen, sie befreiten die europäische Kunst von ihrem bis dahin strengen und öfters überladenen Kunstverständnis des Historismus.
In den grossen Städten Europas entstanden zu Beginn des 19. Jahrhunderts Kunstgewerbeschulen. Denn es gab ein grosses Bedürfnis nach neuem Design für Kunstgegenstände, als auch für Alltagsgegenstände. Abertausende von Katagami gelangten so – nebst privaten Kunstsammlungen – in den Besitz dieser Kunstgewerbeschulen, wie auch in Völkerkunde- und Kunstgewerbemuseen. Sie wurden aktiv den Studierenden zum Studium, als Quelle der Inspiration ausgehändigt. So wurden der Bestand der Katagami für neue Entwürfe verwendet und in einem gewissen Sinne auch ausgebeutet. Der Bezug zum Ursprung, zur japanischen Kunst wurde – wenn überhaupt – nur marginal erwähnt.

Japonismus in Deutschland (auch Art Nouveau genannt)
Die Verehrung und Verklärung alles Japanischen fand in Deutschland 1914 ein jähes Ende. Nach Japans Kriegseintritt wurde Japan zu einem Feind des Deutschen Reichs. Der Grund dafür war, dass Japan den deutschen Kolonialbesitz in China besetzte und die deutschen Südsee Kolonien annektierte. Die Katagami kamen in die Museums-Depots und gingen dabei weitgehend vergessen. Erst über hundert Jahre später holte das Staatliche Museum Dresden ihren weltgrössten Schatz an japanischen Papierschablonen (es müssen über 10’000 Exemplare sein) aus ihrem Depot heraus. 2014 wurde eine kleine Anzahl der Katagami anlässlich einer stimmungsvollen Ausstellung zum Thema „Die Logik des Regens“ gezeigt.

Der Jugendstil als internationales Phänomen, der die gesamte westliche, als auch die amerikanische Kunst erfasste
Der Einfluss der Katagami und ihre kunstvolle Darstellung, vor allem von floralen Mustern, von Ranken und dekorativen Elementen, drang in alle Bereiche der Kunst und des Designs ein – und revolutionierte die bisherige Kunstauffassung. Die Papierschablonen wurden grundlegend wichtig für die westliche Dekorationskunst.
Die Zeit des Jugendstils, der L’Art Nouveau, des Modern Style war angebrochen. Man sprach auch vom Japonismus als neue Kunstrichtung.

Die Wiener Werkstätte, gegründet 1903
Die wohl bekanntesten Kunstschaffenden der Wiener Werkstätte waren Gustav Klimt, Koloman Moser, Josef Hoffmann und Otto Wagner. Ihr Wirkungsbereich durchdrang viele Bereiche der Kunst: der Malerei, der Architektur und dem Design von Möbeln, Stoffen, Keramik sowie Porzellan. Das Musum für angewandte Kunst in Wien, das heutige MAK, erwarb über 8000 Katagami, die Zugang fanden bei den Studierenden der Wiener Werkstätte. Der Einfluss der japanischen Kunst auf diese Zeit- und Kunstepoche ist unübersehbar – und erstaunt noch heute.

links: Katagami Chrysanthemus,
rechts: Koloman Moser, Textile Design „Oracle Flower“, 1901, Katagami Style
L’ Art Nouveau in Frankreich und Belgien
Hector Guimard war der Schöpfer, der mit floralen Mustern dekorierten Métro Stationen in Paris. René Lalique war erfolgreich mit seiner Glaskunst … man denke nur an die wunderschönen, mit Pflanzen- und Blütenmustern verzierten Parfume Flacons und Blumenvasen. Auch die Vasen von Emile Gallé sind grossartige Kunstwerke. Die Gegenüberstellung mit Katagami Mustern lässt stets den Einfluss Japans erkennen. Man kann sich fragen, in welche Richtung sich die westliche Kunst entwickelt hätte, wäre sie nicht in Kontakt gekommen mit der grundsätzlich anderen Kunstauffassung Japans.
Auch die Maler des Impressionismus sammelten Farbholzdrucke und Papierschablonen aus Japan. Sie liessen sich nach intensiver Auseinandersetzung mit der neuartigen und so verschiedenartigen Ausdrucksform in ihrem künstlerischen Schaffen beeinflussen.

Modern Style oder Arts and Crafts Mouvement in Grossbritannien
England beteiligt sich auch intensiv am Handel mit Kunstgegenständen aus Japan. So erwarb das Victoria & Albert Museum in London auch tausende von Katagami. Deren Einfluss auf die englische Kunst liess nicht lange auf sich warten. Japanische Stilelemente fanden breite Verwendung im Design. Berühmt wurden Phillip Morris und seine Blumentapeten, als auch die floralen Stoffe von Liberty. Tiffany in New York kreierte wunderschöne Lampen und bezaubernden Schmuck – auch unter dem Einfluss von Katagami.
Die Liste der Kunstschaffende um die Jahrhundertwende in Europa, als auch in Amerika, liesse sich mit vielen erfolgreichen und berühmten Namen zahlreich ergänzen. Der Japonismus war allgegenwärtig – bis der 1. Weltkrieg ausbrach und die Welt veränderte.

Epilog
Japan bedauert noch heute den damals völlig übereilten Kulturexport. Japanische Kunsthistoriker und Kunstschaffende durchforschen seit Jahren auf der ganzen westlichen Welt die Museumsbestände nach ihrem künstlerischen Erbe und sind daran, den Einfluss ihrer Kunst auf den Westen zu untersuchen. Ein aufwendiges, aber auch spannendes Unterfangen. Das National Museum in Tokyo besitzt eine bedeutende Sammlung an Katagami. Die übrigen Museen in Japan verfügen nur über bescheidene Bestände.
Die Katagami und deren künstlerische Ausstrahlung sind leider in Vergessenheit geraten, sie schlummern weiterhin in den Depots von Museen, auch in der Schweiz. Heute wird der Computer für den Textildesign eingesetzt – das ursprüngliche Handwerk der Katagami Herstellung wird nur höchst vereinzelt in Japan aus traditionellen Gründen weiter gepflegt.
Ich bin im Besitz einer grossartigen Katagami Sammlung. Zusammen mit meinem Partner wählen wir Ausschnitte, Motive und Muster aus diesen Katagami aus – und färben diese neu ein und drucken damit Karten. Im Sinne einer Hommage voller Respekt und Bewunderung an die vielen namenlosen Schneiderinnen und Schneider von Papierschablonen im Japan des 19. Jahrhunderts und früher.

Silvia Neeracher, Zürich im Mai 2021

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la-vie-des-formes.ch heisst der Kartenverlag
Quellenangabe zu Bild von Kolomann Moser: Koloman Moser, Textile Design „Oracle Flower“ 1901, KATAGAMI Style, Katalog Ausstellung Tokyo 2012
Alle anderen Bilder aus Privatbesitz

▶︎ Aus diesen bestehenden Katagami-Schablonen wurden einige Ausschnitte für den Kunstkartendruck ausgewählt. Hier finden Sie eine Auswahl von Mustern, die Sie bestellen können.

 

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